Der Große Fall : Erzählung

Handke, Peter, 2011
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Medienart Buch
ISBN 978-3-518-42218-2
Verfasser Handke, Peter Wikipedia
Systematik DR/10 - Erzählungen
Verlag Suhrkamp
Ort Frankfurt a. M.
Jahr 2011
Umfang 278 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Peter Handke
Annotation Peter Handkes neuer Prosaband enthält eine dichte Folge von Momentaufnahmen über die großen und kleinen sozialen Katastrophen der Gegenwart. Nur wenige Monate nach Peter Handkes großem Dramentext "Immer noch Sturm" dem Resümee und zugleich Höhepunkt der lebenslangen Auseinandersetzung mit seinen slowenischen Wurzeln erscheint nun sein neuer Prosaband "Der Große Fall", der wieder einmal zeigt, wie unübertrefflich dieser Autor die sozialen Verwerfungen unserer Zeit aus den Rändern von Stadtlandschaften herauszulesen versteht. Dass Handkes Bücher immer auch Kommentare zur mentalen und gesellschaftlichen Befindlichkeit sind, ist von der Kritik genauso häufig übersehen worden wie des Autors Talent zu Groteske und (Selbst-)Ironie. Wie stets bei Handke geht es auch in "Der Große Fall" nicht um einen nacherzählbaren Plot. Perspektivfigur ist ein alternder Schauspieler, der sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat und nun an eine Filmarbeit denkt. Das Thema ist ein Amoklauf, was die beiden zentralen Elemente des Buches Sozialbefund und Selbstironie kurzschließt; Handkes Neigung zu impulsiven Ausbrüchen ist ja nicht unbekannt. "Der Große Fall" folgt einem klassischen Erzählbogen: Der Schauspieler erwacht am Morgen im Haus "der Frau", bricht auf und nähert sich, Stadtwald und Peripherie durchstreifend, der Metropole, in der Paris zu erkennen ist, um am Abend im Zentrum "die Frau" wieder zu treffen. Der Tag ist eine einzige Bewegung auf sie zu; unmittelbar vor der Begegnung bleibt der Erzählfaden wie in einer ins Unendliche gedehnten Zeitlupeneinstellung hängen ein stummer Verzweiflungsschrei über das Scheitern der Liebe. Was der Stadtstreicher auf seinem Weg sieht und wie Handke diese Fundstücke arrangiert, ergibt eine dichte Folge von Momentaufnahmen über die großen und kleinen sozialen Katastrophen unserer Gegenwart. Die Blickrichtung ist auf den Boden konzentriert; wie beim Geologen Sorger in "Langsame Heimkehr" wird der "gesenkte Kopf" berufsbedingt erklärt, denn ursprünglich war der Schauspieler Fliesenleger. Wenn er im Stadtwald die Spuren "der aushäusig Gewordenen und endgültig Abgehausten" sieht, dann wird wie im Negativ die jüngste Ausweisungspolitik Frankreichs sichtbar. Wenn er in einer der verlassenen Behausungen das Schulheft eines Tischlerlehrlings findet, dann "liest" Handke aus der Sorgfalt, mit welcher der junge Berufsschüler Holzmaserungen und -verbindungen hingezeichnet hat, das Drama der verlorenen Zukunftschance eines jungen Menschen heraus. Und wenn er dem in sich selbst verlorenen Waldmenschen bei seinem so ritualisierten wie abgründigen Anschreien gegen jedes Zivilisationsgeräusch zuhört, dann zeigt das auch ein Selbstporträt des lärmgeplagten Autors. Die hilflose Zuwendung des Wanderers zu diesem "für die Gesellschaft Verlorenen" ist ein berührendes Bild für die Sehnsucht nach spontaner Nähe und Beistandsleistung. Er habe immer ein Retter-Syndrom gehabt, so der Schauspieler, und zweimal sei es ihm geglückt, der Rolle zu entsprechen: für "einen Igel und eine Biene" . . . Eine veritable Groteske formt Handke auch aus einer Szene an der Waldlichtung. Am Rande stehend, beginnt der Schauspieler mit einer Rundumschelte gegen all die Fitnessläufer und Ohrstöpseltrampler der urbanen Bobo-Kultur, die er hier aufmarschieren und den magischen Schwellenort verunehren sieht. Näherkommend, oder genauer hinsehend, verändert sich der Ort es ist kein magischer Platz sondern ein mit Spazierwegen durchzogenes Naherholungsgebiet; vor allem aber individualisiert sich die "Menge", letztlich sind es Geher, Beerensammler, Pilzesucher wie er selbst. Der erste Blick ist ein "Vorurteil", der "das mögliche Weitere" verstellen kann. In den peripheren Ausläufern der Großstädte werden die Zeitfalten deutlich sichtbar, in denen die Gesellschaft ihre sozialen Problemlagen und Randgruppen ablagert, zum Beispiel die völlig "neuartigen Paare" aus "Uralten und Blutjungen". In den topografischen Zwischenwelten ist auch die gestiegene Aggressionsbereitschaft klarer zu sehen und zu hören: hier wird eine Art Krieg geführt. Zwei Orte der Vergesellschaftung menschlicher Grundbedürfnisse einem spirituellen und einem kreatürlichen lässt der Autor den Schauspieler auf seinem Weg ebenfalls betreten: eine Kirche und eine Bedürfnisanstalt. An beiden Orten gelingt es ihm zumindest momentelang, sich als Teil einer Gemeinschaft zu erleben ein Gefühl, das sich beim Betreten der "inneren Stadtbezirke" verliert und in Panik umschlägt. "Ausgerenkt an Leib und Seele" fühlt er sich, wie verhöhnt von der lustigen neuen Stadtmöblierung und fassungslos vor dem menschlichen Dilemma der Urbanität. "Eine (1) Lebensart immerhin habe ich geschafft: das Gehen", heißt es in einem von Handkes Journalbänden; vor allem aber versteht er wie kein anderer, von dieser "Lebensart" zu erzählen. (Evelyne Polt-Heinzl, "Wiener Zeitung") Die Geschichte eines müßiggängerischen Schauspielers, an einem einzigen Tag, vom Morgen bis tief in die Nacht: Das Gehen durch eine sommerliche Metropole, von den Rändern bis in die Zentren. Die Begegnungen: mit den Läufern, den Obdachlosen, den Paaren, dem Priester, den Polizisten. Ein Weg mitten durch Nachbarnkriege, vorbei an überlebensgroßen Leinwandpolitikern, dann inmitten von Untergrundfahrern aus einer anderen Welt. Wetterleuchten in der Stadtmitte. Und das Gesicht einer Frau. (Verlagstext)Ein Stück Weltliteratur über den intensiven Zauber des Augenblicks. (DR) Ein Schauspieler verlässt am Morgen das Haus einer Frau, "die ihm gut war", wandert durch einen idyllischen Wald in den Tag hinein und gelangt in der Absicht, eine ihm zugedachte Ehrung nicht anzunehmen, in das Zentrum einer Metropole. Er trifft dabei auf Läufer, einen Obdachlosen, zahlreiche Paare, einen Priester und Polizisten. Sie alle wecken in ihm Gefühle, die zwischen Aggression und Hilfsbereitschaft pendeln. Peter Handke bringt in seine Erzählung viel Wissen als Theaterautor und häufiger Kinobesucher mit ein. Von Robert Bresson und John Ford ist da die Rede, darüber hinaus werden die darstellerischen Anforderungen an einen Bühnen- und Filmschauspieler genau analysiert. "Der Große Fall" ist fast eine Autobiografie des Autors. Die Begeisterung für stundenlanges Gehen und das Sammeln von Pilzen, die Wut auf gesellschaftliche Zustände und minutiöse Naturbeschreibungen sind zentrale Elemente des Buches, das die LeserInnen bis zum Schluss über den Sinn des Titels im Unklaren lässt. Aus dem Vollen schöpft Handke, wenn er scheinbar nebensächliche Dinge beschreibt - auch wenn es nur ein Schwarm Ameisen ist, der durch ein undichtes Fenster ins Haus kommt. "Der Große Fall" überzeugt durch große Sprachgewalt, ist aber keine leichte Kost. Ein Buch, das viele Fragen offenlässt, gerade deswegen aber lange nachwirkt. *bn* Johannes Preßl
Bemerkung Katalogisat importiert von: Wiener Städtische Büchereien Katalogisat abgeglichen mit: onlineRezensionen (ÖBW)

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